Mein Leben ist nicht der Rede wert ...
Das sagen mir manchmal Menschen im Rahmen der Biografiearbeit, die ich anbiete.
Was ich antworte?
Jedes Leben ist es wert, dass man darüber erzählt.
Dass man darüber spricht.
Dass man darüber schreibt.
Manchmal muss man genauer hinschauen.
Doch man findet immer das Besondere, das in jedem Menschenleben steckt.
Jemand lebt sein ganzes Leben an einem Ort, ist seit dreißig Jahren mit derselben Person verheiratet, übt über diese Zeit denselben Beruf aus.
Ist das langweilig?
Nein.
Spannend ist zum Beispiel:
Ist dieser Mensch dabei glücklich?
Ja? Wie macht er das?
Was ist sein Geheimnis für eine gelingende Beziehung?
Wie ist er seinem Heimatort verbunden?
Welche tragfähigen Verbindungen sind privat und im Beruf gewachsen?
Das kann viele Leute inspirieren.
Besonders in unserer schnelllebigen Zeit.
Oder ist dieser Mensch unglücklich?
Genauso spannend.
Aus welchem Grund hält er an der Beziehung fest?
Liegen dahinter Verletzungen und Fesseln?
Engt ihn der Heimatort ein und lässt ihn verzweifeln?
Das ist der Stoff, aus dem Krimis und Tragödien gemacht sind.
Diesen Stoff aufzuschreiben, kann die Augen öffnen und dem Leben eine andere Richtung geben.
Dem eigenen Leben und dem Leben anderer.
Nicht jede Lebenserinnerung muss für die Öffentlichkeit aufgeschrieben werden.
Lebensgeschichten können ein „Familiengedächtnis“ sein, in dem die eigenen Erinnerungen und weiter zurückliegende Familienerinnerungen aufbewahrt werden.
Man kann sie an zukünftige Generationen weitergeben.
Sie können dazu beitragen, dass die Kinder oder Enkelkinder ihre Eltern oder Großeltern besser verstehen.
Das Erinnern und das Aufschreiben hilft auch, sich selbst besser zu verstehen, mit sich oder anderen ins Reine kommen.
Und Geschichten aus dem Leben können Gesprächsanlässe zwischen den Generationen sein.
„Wie war das, Oma, im Krieg in Ruinen zu leben und kaum etwas zum Essen zu haben?“
„Hast du tatsächlich halbnackt und bekifft beim Woodstock-Festival getanzt, Mama?“
„Wie war das, Opa, als du kurz vor dem Mauerbau in den Westen flüchten wolltest und geschnappt wurdest?“
Die Biografie ist ein Spiegel der Zeit. Wer seine Lebensgeschichte schreibt, bewahrt nicht nur seine eigene Geschichte vor dem Vergessen, sondern auch die Zeitgeschichte und die Alltagsgeschichte, die sich darin spiegelt.
Im scheinbar Alltäglichen steckt ein ganz besonderer Zauber.
Eine ganz besondere Nähe.
„Papa, erzähl mir davon, wie du mich als Baby Nacht für Nacht durch die Wohnung getragen hast, wenn ich Bauchweh hatte. Was ging dir dabei durch den Kopf?“
In jedem Leben warten kleine und große Geschichten darauf, aufgeschrieben und erzählt zu werden.
Als Biografin habe ich schon oft erlebt, wie sie sich den Weg ans Licht bahnen.
Welche Geschichten willst du erzählen?
Du kannst mit einer ganz einfachen Methode beginnen:
mit dem seriellen Schreiben, auch bekannt als: Fragmente schreiben.
Das geht so:
Schreib 5 bis 10 Sätze, die alle gleich anfangen.
Ein typischer Anfang für die Beschäftigung mit der Lebensgeschichte ist:
Ich erinnere mich …
Wichtig ist, dass du wirklich am Anfang jedes Satzes schreibst: Ich erinnere mich.
Dann schreibst du auf, woran du dich erinnerst.
Denk dabei nicht viel nach.
Schreib auf, was dir in den Sinn kommt.
Es können Erinnerungen aus der Kindheit, aus der Jugendzeit oder aus dem Erwachsenenleben sein.
Die Methode aktiviert deine Erinnerungen auf ganz erstaunliche Art und Weise.
Du kannst es auch mit anderen Satzanfängen probieren und dich so einem ganz bestimmten Thema widmen.
Zum Beispiel:
- Als ich ein Kind war …
- Auf Reisen …
- Ich mag …
- Ich war glücklich, als …
Auch hier gilt: Beginne jeden Satz mit denselben Worten.
Berichte mir gerne über deine Erfahrungen mit dem seriellen Schreiben.
Ich wünsche dir viel Freude beim Erinnern.
Alles Gute
Beate