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An einem Wintermorgen …

An einem Wintermorgen ...

… kurz vor halb neun.

Die Sonne steht eine Handbreit über dem Horizont.

Am Tag zuvor hat die graue Wolkendecke die Helligkeit gefressen.

Heute tauchen die Sonnenstrahlen die Welt in rosarotes Licht.

Trotzdem: nur minus drei Grad.

 

Mit warmen Schuhen und dicker Jacke stapfe ich zur Tür hinaus.

Keine Handschuhe, keine Mütze.

Ich mag es, wenn ich die Kälte spüren kann.

Wenn die Finger kribbeln.

Wenn die Wangen im Frost fast erstarren.

Ich ziehe Grimassen und spüre, wie schwerfällig meine Haut nach kurzer Zeit schon geworden ist. Als ob sich ein dicker Gelee-Belag darüber gelegt hätte.

Quittengelee mag ich am liebsten …

 

Im Nachbargarten strecken die Winterlinge ihre ersten Knospen in die leichte Brise.

Die Wiesen sind gezuckert, die Straße nicht gesalzen.

Gelb-grüne Würstchen baumeln an einem kahlen Haselstrauch.

Sie behalten ihre Pollen so früh noch für sich.

Ein Glück für meine Nase.

 

Keine hundert Meter entfernt fließt unser kleiner Fluss flaschengrün dahin.

Ich biege in den Fußweg ein, der daran entlangführt.

In der Ferne rauscht der Verkehr auf der Schnellstraße.

Das Brummen brandet an die Schallschutzmauern, prallt zurück und wirbelt durch die Luft.

Menschen auf dem Weg zur Arbeit.

Wie gut ich es habe.

Ich kann heute Morgen durch die Gegend spazieren.

 

Ein metallicblauer Klecks flattert über den Fluss.

Landet auf einem Erlenzweig.

Ich kneife die Augen zusammen.

Tatsächlich: ein Eisvogel.

Ein seltenes Vergnügen.

Ich bleibe stehen, solange er sitzen bleibt.

Er ist geduldig. Ich auch – ausnahmsweise.

Ich blinzle und verpasse seinen Start.

Ein metallicblauer Pfeil stürzt ins Wasser.

Weg. Wieder da. Weg.

Aus meinem Sichtfeld verschwunden.

 

Ich gehe weiter. Schneller.

Der Frost kriecht in meine Hosenbeine.

Eis knirscht unter meinen Schuhen.

Ein paar Meter weiter eine langgestreckte Pfütze.

Gefroren.

Fein.

Ich nehme Anlauf und … schlittere darüber hinweg.

Das Kind in mir lacht.

Der Fahrradfahrer, der mir entgegenkommt, auch.

Ich winke ihm zu. Er winkt zurück.

Noch einmal schlittere ich hin. Und her. Und hin. Und her.

 

Dann klopft ein Specht.

Ein Grünspecht. Dort am Stamm eines Apfelbaums.

Ein Eichhörnchen fliegt die Äste einer Silberpappel hinauf und tanzt über den Wipfel.

Ein Entenpärchen startet und platscht mit den Flügeln ins Wasser.

Ich schnalze mit der Zunge.

Irgendein Tier antwortet.

Ich pfeife.

Ein Vogel zwitschert zurück.

 

So viel Leben.

Im Winter.

Ist das immer so?

Vielleicht bin ich heute besonders aufmerksam.

Mit offenen Sinnen unterwegs.

 

Ich weiß, in unserer Welt herrscht Krieg – hitziger und kalter.

Manche Menschen gehen mit gefrorenem Herzen und eisiger Seele durch ihre Tage.

Viele Beziehungen sind mit Raureif überzogen.

 

Ich weiß, es geht uns nicht immer gut.

Manchmal liegt unser Leben auf Eis.

Wir ziehen uns zurück, um Kraft zu sammeln.

Und das ist richtig so.

 

Ein wunderbares Buch zu diesem Thema hat Katherine May geschrieben:

Überwintern. Wenn das Leben innehält

Das Lesen lohnt sich, wann immer in dir Winter herrscht.

Auch im Sommer.

 

Aber in mir herrscht gerade Sommer – mitten im Winter.

In jedem Schneekristall steckt ein Geheimnis, das ich ergründen möchte.

Jede Meise, jeder Eichelhäher, jede Krähe bringt mich zum Lächeln.

Jeder Eiszapfen lässt mich staunen.

 

Eine Sache fehlt noch für meinen perfekten Wintertag.

Ich kuschle mich mit einem heißen Tee und einem spannenden Buch aufs Sofa.

 

 

Wie fühlt sich dein perfekter Wintertag an?

Wie hast du deine schönen Wintertage als Kind erlebt?

 

Schreibe es auf, krame alte Fotos raus, male ein Bild.

Singe, tanze, hüpfe, springe.

Mache, was immer du willst.

Finde wärmende Erinnerungen.

Es lohnt sich.

 

Alles Gute!

Beate

 

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