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Am Anfang …

Am Anfang ...

… ist es oft schon zu spät.

 

Zum Beispiel:

Wenn die Chemie beim ersten Treffen einfach nicht stimmt.

Wenn du merkst, dass dich ein Thema total anödet.

Oder wenn dich ein Text absolut nicht mitnimmt.

 

Mir passiert das oft, wenn mir jemand seitenlang erzählt, was eine perfekte Protagonistin macht, wenn sie morgens aufsteht.

Wie sie aus dem Bett hüpft, ihre gut durchtrainierten Glieder streckt, wie sie duscht und duftet, mit ihren himmelblauen Augen in den Spiegel blinzelt und ihr volles Haar kämmt, wie sie höchst gesundes Superfood-Müsli mit Obst frühstückt, sich die strahlendweißen Zähne putzt, Lidschatten aufträgt, der ihren Blick überirdisch leuchten lässt …

Wenn dann noch eine Rückblende kommt … gähn …

Dann lese ich meistens nicht weiter.

 

Aber du solltest hier weiterlesen.

Denn das Thema ist heute:

Wie schreibt man einen guten Anfang?

 

Du hast jetzt schon gelesen, wie du es nicht machen solltest:

langatmig und ausführlich, mit einer Protagonistin ohne Fehl und Tadel, die ihre Morgenroutine absolviert.

 

Das Wichtigste am Anfang ist: Spannung.

Dazu brauchst du keine Verfolgungsjagd und keinen großen Knall.

Das geht natürlich auch, aber es gibt noch viel mehr Möglichkeiten.

 

Wie baust du also am Anfang Spannung auf?

Ich zeige dir ein paar Möglichkeiten.

 

Ergänze etwas Außergewöhnliches.

Stell dir vor die Protagonistin von oben – nennen wir sie Elli – steht am Morgen auf.

Sie quält sich aus dem Bett und streckt sich.

Da ist ein Geruch, den sie nicht kennt.

Elli schnüffelt unter ihren Achseln. Nö, das ist es nicht.

Sie steht auf und öffnet den Schrank.

Heute ist ein wichtiger Termin, sie überlegt, mit welchem Outfit sie die Kunden beeindrucken kann.

Wieder dieser seltsame Geruch.

Elli schaut unter das Bett. Nichts.

Sie macht das Fenster auf und atmet tief durch.

Im Bad liegt ein riesiger Haufen Wäsche.

Der Geruch wird dort zum Gestank.

Was liegt denn unter der Wäsche?

Elli hebt ein Handtuch an.

Oh, mein Gott …

 

Würdest du weiterlesen?

 

Oder so:

Deute ein kommendes Geschehen an und lasse Dinge unerklärt.

Der Wecker klingelt.

Elli schreckt hoch.

Sie hat geträumt, dass sie auf einem Besen reitet.

Mit wehenden Haaren und einer Katze auf der Schulter.

Unter ihr lodern Lagerfeuer.

Menschen tanzen und singen.

Elli schüttelt sich.

Und denkt: Zuerst die Präsentation, dann das Vergnügen.

 

Was denkst du?

 

Du kannst auch Zweifel wecken und Widersprüche aufwerfen.

Zum Beispiel so:

Elli wacht auf, weil ihr Magen knurrt.

Oder ist es doch nicht ihr Magen?

Sie dreht sich um.

Neben ihr liegt ein Mann und schläft und schnarcht.

Elli kennt ihn nicht.

Der Mann dreht sich um.

Sagt: Hallo Schatz. Gut geschlafen?

 

Wer spinnt denn nun?

 

Ein offensichtlicher Konflikt sorgt auch für ordentlich Spannung.

Dann knallt es so richtig:

„Steh auf du faule Kuh.“

Elli zuckt zusammen und schlägt die Augen auf.

Vor ihrem Bett steht …

Ja, wer ist das überhaupt?

Sie reibt sich übers Gesicht. Blinzelt.

„Wieder zu viel gesoffen gestern Abend, was?“

Eine Stimme wie kreischende Kreide auf der Schultafel.

Elli fröstelt.

„Mama …“

„Nichts mit Mama. Raus mit dir. Die Schonzeit ist vorbei.“

„Mama …“

„Das Leben geht weiter. Kehren, kochen, Stroh zu Gold spinnen.“

 

Oh, oh, Stress im Märchenland?

 

Immer wichtig: facettenreiche Figuren.

Du kannst mit einer Personenbeschreibung beginnen, aber sie darf keinesfalls statisch und nichtssagend sein.

Das geht zum Beispiel in einem Dialog.

Hier eine Szene mit Elli und Aron:

Es knallt.

Elli zuckt zusammen.

Es scheppert.

„Guten Morgen Aron“, ruft sie. „Ich bin wach. Komm rein.“

Die Tür öffnet sich einen Spalt und das lächelnde Gesicht eines jungen Mannes guckt rein.

„Sorry“, sagt er und schlendert ins Zimmer, „zwei linke Hände eben.“

Aron geht vor Ellis Bett in die Knie.

Sie tätschelt seinen Kopf.

„Zum Glück sind deine Hände nur im Haushalt links. Du darfst dich erheben und mich auch.“ Elli grinst.

Aron schnappt sich die Bedienung für das Bett und lässt es ein Stück höher schweben.

Er beugt sich zu Elli, setzt sie auf und dreht sie so um, dass ihre Beine über die Bettkante baumeln.

„Mmh, du riechst heute wieder gut, Aron“, nuschelt sie an seiner Schulter.

„Für dich dusche ich gerne“, erwidert er lächelnd.

„Legst du mir bitte den dunkelblauen Hosenanzug raus? Ich habe heute eine wichtige Präsentation.“

„Aye, aye, Käpt’n.“

Elli zwickt ihn in den Arm: „Kapitänin.“

 

Na, wie findet ihr die beiden?

 

Und schon sind wir am Ende vom Anfang.

 

Noch mal das Wichtigste:

  • Der Anfang muss die Leserinnen und Leser neugierig machen, zum Beispiel auf
    • den Protagonisten/die Protagonistin,
    • den Konflikt der Geschichte,
    • eine Beziehung zwischen zwei Figuren.
  • Am Anfang wird die Stimmung geschaffen, die im Text vorherrschen soll.
  • Der Anfang führt in den Handlungsrahmen ein.
  • Der Konflikt beginnt oder wird zumindest angedeutet.
  • Der Anfang baut (verschiedene Arten von) Spannung auf.

 

Und wenn dir kein Anfang einfällt?

Dann beginne einfach mit der Mitte.

 

Zu Anfängen gibt es so viel mehr zu sagen.

Du willst es wissen?

Dann bleib dran, schau immer wieder rein und lass dich überraschen.

Jeden Freitag gibt’s was Neues – nicht nur über Anfänge.

 

Ich wünsche dir ein wunderbares Jahr 2024.

Verabschiede dich von allem, was du loswerden möchtest.

Behalte bei, was dir guttut.

Und fange neu an – mit Anfängen, die neugierig machen.

 

Gruß und Schluss

Beate

 

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